Ich komme aus der Praxis der Organisationsentwicklung und wenn ich mir das aktuelle Dokument von TACSI zu Impact Networks anschaue, dann sehe ich darin eine fundamentale Weiterentwicklung dessen, was wir in der systemischen Beratung seit Jahren propagieren – nur dass es hier endlich konsequent über die Grenzen einzelner Organisationen hinausgedacht wird.
Was sind Impact Networks eigentlich?
Impact Networks, das erklärt das australische Team von TACSI sehr präzise, sind im Grunde Netzwerke von Menschen aus verschiedenen Organisationen, die gemeinsam an systemischen Herausforderungen arbeiten. Anders als traditionelle Kooperationen oder Allianzen geht es hier nicht primär um den Austausch von Ressourcen oder um strategische Partnerschaften, sondern um etwas viel Grundlegenderes: um die bewusste Kultivierung von Beziehungen zwischen Menschen, die verschiedene Perspektiven auf ein komplexes Problem mitbringen.
Das Interessante dabei – und hier wird es für uns in der Organisationsentwicklung relevant – ist der Fokus auf vier zentrale Praktiken: Togetherness (Verbundenheit), In-betweenness (das Dazwischen), Emergence (Emergenz) und Wellbeing (Wohlbefinden). Wenn wir das systemisch betrachten, erkennen wir hier Prinzipien wieder, die wir auch in der internen Organisationsentwicklung anwenden, nur dass sie hier auf einer Meta-Ebene zwischen Organisationen wirken.
Die systemische Dimension des Vernetzten Denkens
Aus meiner Sicht als systemischer Berater ist das, was TACSI hier beschreibt, eine konsequente Anwendung systemischen Denkens auf gesellschaftliche Herausforderungen. Die vier Praktiken entsprechen dem, was wir in Organisationen als „psychologische Sicherheit“, „Ambiguitätstoleranz“, „adaptive Kapazität“ und „organisationale Resilienz“ kennen – nur dass hier der Container nicht eine einzelne Organisation ist, sondern ein bewusst gestaltetes Netzwerk.
Das faszinierende dabei ist (und hier komme ich immer wieder ins Staunen), wie sehr sich die Prinzipien ähneln: In beiden Fällen geht es darum, Räume zu schaffen, in denen Menschen authentisch sein können, verschiedene Perspektiven zusammenkommen und aus dieser Diversität heraus neue Lösungen entstehen. Der Unterschied liegt in der Skalierung – Impact Networks arbeiten systemübergreifend.
Der Mensch im Mittelpunkt: Mehr als nur ein Slogan
Was mich besonders anspricht an diesem Ansatz, ist die konsequente Fokussierung auf den Menschen. Das ist diskutierbar, aber aus der Erfahrung heraus würde ich sagen: Viele Organisationen sprechen zwar davon, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, scheitern aber daran, dass sie dies nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen tun. Impact Networks gehen einen Schritt weiter – sie stellen die Changemaker, die Gestalter*innen des Wandels, in den Mittelpunkt, unabhängig davon, in welcher Organisation sie arbeiten.
Das Good Death Impact Network, das als Beispiel im Dokument beschrieben wird, zeigt das sehr schön: 90 Menschen aus verschiedensten Bereichen – von der Palliativmedizin bis zur Bestattungsbranche – arbeiten zusammen daran, wie wir in Australien „besser sterben“ können. Das funktioniert nicht über Strategiepapiere oder Projektmanagement, sondern über das systematische Aufbauen von Vertrauen und gemeinsamen Verständnisses.
Die Brücke zum wirtschaftlichen Erfolg
Lassen Sie uns das mal konkret anschauen: Warum sollten sich Unternehmen für Impact Networks interessieren? Aus der systemischen Perspektive heraus sehe ich drei zentrale Hebel:
Erstens: Innovationskraft durch Diversität Wenn wir ehrlich sind, entstehen die besten Ideen an den Schnittstellen verschiedener Denkwelten. Impact Networks institutionalisieren diese Schnittstellen. Ein Unternehmen, das Teil eines solchen Netzwerks ist, hat Zugang zu Perspektiven und Kompetenzen, die es alleine nie entwickeln könnte. Das ist nicht nur innovationsfördernd, sondern auch kosteneffizient – man muss diese Kompetenzen nicht selbst aufbauen.
Zweitens: Risikominimierung durch systemisches Verständnis Komplexe gesellschaftliche Herausforderungen – Klimawandel, demografischer Wandel, Digitalisierung – betreffen alle Organisationen, aber keine kann sie alleine lösen. Unternehmen, die sich an Impact Networks beteiligen, entwickeln ein tieferes Verständnis für die systemischen Zusammenhänge und können dadurch besser antizipieren, was auf sie zukommt.
Drittens: Talent-Magnetismus Das ist vielleicht der interessanteste Aspekt: Menschen wollen zunehmend in Organisationen arbeiten, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Die Beteiligung an Impact Networks signalisiert, dass ein Unternehmen ernst meint, was es über Purpose und gesellschaftliche Verantwortung sagt.
Systemische Organisationsentwicklung neu gedacht
Aus meiner praktischen Erfahrung heraus würde ich sagen: Impact Networks sind eine Art „Organisationsentwicklung 2.0“. Während wir traditionell innerhalb von Organisationen an Kultur, Strukturen und Prozessen arbeiten, erweitern Impact Networks diesen Ansatz auf das Ökosystem.
Das bedeutet konkret: Wenn ich heute mit einer Organisation an ihrer Innovationsfähigkeit arbeite, dann schaue ich nicht nur auf interne Prozesse, sondern auch darauf, wie sie mit ihrem Umfeld vernetzt ist. Welche Beziehungen pflegt sie? In welchen Netzwerken bewegt sie sich? Wie trägt sie zu größeren systemischen Veränderungen bei?
Die vier Praktiken von TACSI – Togetherness, In-betweenness, Emergence und Wellbeing – lassen sich durchaus auch auf die interne Organisationsentwicklung übertragen. Sie bieten einen Rahmen für das, was wir systemische Beratung nennen: die Schaffung von Bedingungen, unter denen neue Möglichkeiten entstehen können.
Drei Habits für Führungskräfte
Lassen Sie mich das mal ganz praktisch machen – drei Gewohnheiten, die Führungskräfte entwickeln können, um vom Impact Network-Ansatz zu profitieren:
1. Zehn Minuten täglich: Netzwerk-Reflexion Nehmen Sie sich jeden Morgen zehn Minuten Zeit und fragen Sie sich: Mit welchen Menschen außerhalb meiner Organisation könnte ich heute in Kontakt treten, um ein besseres Verständnis für systemische Zusammenhänge zu entwickeln?
2. Zehn Minuten wöchentlich: Perspektiven-Diversität Einmal pro Woche bewusst ein Gespräch mit jemandem führen, der eine völlig andere Sichtweise auf Ihr Thema hat. Das kann ein Kunde sein, ein Lieferant, ein NGO-Vertreter oder jemand aus einem ganz anderen Sektor.
3. Zehn Minuten monatlich: Systemische Wirkung Monatlich reflektieren: Welchen Beitrag leistet meine Organisation zu größeren gesellschaftlichen Herausforderungen? Wo könnten wir Teil eines Impact Networks werden?
Fazit: Die Zukunft ist vernetzt
Was das TACSI-Dokument letztendlich zeigt, ist eine Evolution des systemischen Denkens. Während wir in der Organisationsentwicklung lange Zeit vor allem introspektiv gearbeitet haben – also geschaut haben, wie Organisationen intern funktionieren – geht es jetzt darum, diese Perspektive zu erweitern.
Impact Networks sind nicht nur ein nettes Konzept für NGOs oder gesellschaftliche Herausforderungen. Sie sind ein Modell dafür, wie Organisationen in einer vernetzten Welt erfolgreich sein können. Unternehmen, die das verstehen und entsprechend handeln, werden einen entscheidenden Vorteil haben – nicht nur in Bezug auf Innovation und Talentgewinnung, sondern auch in ihrer Fähigkeit, mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen.
Die Frage ist nicht, ob Ihre Organisation Teil von Netzwerken werden sollte, sondern welche Art von Netzwerken sie bewusst mitgestalten will.
Primärquelle: TACSI (2024). Building Networks for Systemic Impact: How bringing people together to build relationships across boundaries has the power to shift situations that would otherwise remain stuck. The Australian Centre for Social Innovation.